Die „Gammel-Oase“ hat sich bewährt und wächst: Im Julie-Kolb-Seniorenzentrum des AWO-Bezirksverbandes öffnet am 1. Juli ein weiterer Wohnbereich, auf dem die demenziell veränderten Bewohner*innen selbst entscheiden, wie sie ihren Tag gestalten. Das Konzept, das hier den Pflegealltag prägt, heißt „therapeutisches Gammeln“. Eingeführt wurde es vor zwei Jahren als bundesweit einmalige Innovation und hat bereits großes Interesse geweckt. Zahlreiche überregionale Medien haben berichtet. Vor Kurzem war der WDR vor Ort.
Für die Bewohnerinnen und Bewohner ist die Gammel-Oase, deren Logo ein Faultier ist, ein echter Gewinn. 14 Menschen leben zurzeit im Julie-Kolb-Seniorenzentrum nach dem Konzept. 16 weitere können im Laufe des Jahres in Marl therapeutisch gammeln, wenn der zweite Wohnbereich fertig gestaltet ist. Auch im Wally-Windhausen-Seniorenzentrum in Herten hält das Konzept Einzug. Seit wenigen Wochen gibt es das Angebot dort ebenfalls mit 16 Plätzen.
„Wir lassen die Menschen einfach machen, wonach ihnen gerade ist. Natürlich haben wir dabei immer die medizinischen Notwendigkeiten im Blick und schreiten ein, wenn Grenzen verletzt werden könnten“, sagt Wohnbereichsleiter Christian Löbel. Er sieht im therapeutischen Gammeln die Zukunft für die Betreuung von Menschen mit Demenz im fortgeschrittenen Stadium. „Selbstbestimmung ist für sie enorm wichtig“, sagt er. Mittlerweile genießt das Konzept auch eine hohe Akzeptanz bei Angehörigen und Pflegekräften.
Letzteren fällt es gar nicht so leicht, sich an die Struktur im Wohnbereich zu gewöhnen. Dass Menschen in Pflegeeinrichtungen selbst darüber entscheiden, wie sie ihren Tag strukturieren, wann sie essen, schlafen oder duschen, ist für manche Pflegekräfte zunächst irritierend. Außerdem fordert ihnen das Konzept viel Flexibilität und eine noch höhere Aufmerksamkeit ab. „Es gibt keinen standardisierten Tagesablauf. Wir reagieren immer auf die Bedürfnisse und Impulse der Bewohnerinnen und Bewohner. Das erfordert auch einen höheren Aufwand in der Pflegedokumentation. Auf unserem Wohnbereich ist kein Arbeitstag wie der andere“, sagt Löbel. Hier dürften nur die Bewohner gammeln, scherzt er.
Weit über die Grenzen des Westlichen Westfalens hinaus, hat der der neue Ansatz großes Interesse geweckt. Auf dem Altenpflege Messekongress in Nürnberg, einer der größten Fachmessen in Europa, haben Christian Löbel und Betreuungsassistentin Gabriele Naskrent vor einem großen Publikum aus der Praxis berichtet. Die Gammel-Oase hat die Fachwelt erobert. Es gibt Fachliteratur über den Wohnbereich in Marl. Von dort, so scheint es, hat der AWO-Bezirksverband eine kleine Pflegerevolution gestartet.