Geht es der Dienstleistungsgesellschaft Ver.di bei den gerade angelaufenen Tarifverhandlungen mit der Arbeiterwohlfahrt in NRW um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter - oder eher um mehr gewerkschaftlichen Einfluss? Diese Frage stellten sich zum Wochenende die Geschäftsführer der zehn Unterbezirke, die in der Dortmunder Zentrale über den Stand der Verhandlungen unterrichtet wurden.
„Da soll Stimmung gemacht werden", kommentierte ein Teilnehmer der Runde den ungewöhnlich aggressiven Gewerkschaftsauftritt. Und dieser Eindruck nährte sich gleich aus mehreren Tatsachen:
Am Donnerstag begannen die Tarifverhandlungen in Düsseldorf. Das Forderungspaket übersandte die Gewerkschaft den Arbeitgebern - ungewöhnlich genug - aber erst in der Nacht zuvor. Das hinderte die Ver.di-Vertreter nicht daran, sich schon Stunden später über das fehlende Gegenangebot der Arbeitgeber zu beklagen.
In dem Ver.di-Forderungskatalog taucht als erste und damit wichtigste Forderung auf, Ver.di-Mitgliedern drei freie Tage für Gewerkschaftsmitgliedschaft einzuräumen und damit einen freien Tag mehr als bisher - „weil Gewerkschaftsarbeit sich lohnt", so die Begründung der Gewerkschaft.
Flugblätter, die Ver.di im Vorfeld der Tarifverhandlungen unter ihren Mitgliedern verteilen ließ, tragen den Titel: „Tariffragen sind Machtfragen".
Obwohl der AWO bislang noch nicht einmal die Gelegenheit gegeben wurde, den Ver.di-Forderungskatalog im Detail zu prüfen (geschweige ein eigenes Arbeitgeber-Angebot vorzulegen), bereitet die Gewerkschaft für den Freitag dieser Woche bereits Warnstreiks in den AWO-Einrichtungen im Kreis Recklinghausen vor - ein restlos unübliches Verfahren bei Tarifverhandlungen.
Gewerkschaftszugehörigkeit soll „vergoldet" werden
„Wer eine Tarifauseinandersetzung zu einer Machtfrage stilisiert und auch so agiert, der muss sich fragen lassen, ob es wirklich um die Beschäftigten geht oder um den Einfluss der Gewerkschaft auf unsere Einrichtungen", bedauert Wolfgang Altenbernd, Geschäftsführer des AWO-Bezirks Westliches Westfalen. Ein schlichtes Unding sei es aus Sicht der AWO, den Ver.di-Mitgliedern ihre Gewerkschaftszugehörigkeit durch gleich drei freie Tage pro Jahr „zu vergolden". Die Gewerkschaftsmitgliedschaft habe schließlich wenig mit dem Einsatz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an ihrem Arbeitsplatz in den rund tausend Einrichtungen der Arbeiterwohlfahrt in den Regierungsbezirken Arnsberg und Münster und einer gerechten Bezahlung zu tun. Bei der Geschäftsführer-Konferenz am Wochenende tauchte denn auch die Frage auf, ob die Schärfe in der Ver.di-Verhandlungsführung möglicherweise nur dazu dienen solle, die Mitgliederzahlen zu stabilisieren und den Gewerkschaftseinfluss auszubauen.
Die Arbeiterwohlfahrt als Arbeitgeber, so kündigte Wolfgang Altenbernd an, werde sich jedenfalls weiterhin für eine sachorientierte und zugleich transparente Verhandlungsführung einsetzen: „Das sind wir den 17.000 Beschäftigten im Bezirk Westliches Westfalen schuldig."