AWO NRW stellt Langzeitstudie zur Kinderarmut vor

07.02.2020

Fachtag in Bochum: Fachleute diskutieren, wie der Ausstieg aus der Armut gelingen kann

300 Fachleute diskutierten heute auf Einladung der AWO NRW die Ergebnisse der Langzeitstudie „Wenn Kinderarmut erwachsen wird – wie gelingt der Ausstieg aus der Armut?“. 1997 wurde die Studie beim Frankfurter Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik (ISS) in Auftrag gegeben. Das Forschungsprojekt hat 20 Jahre lang Kinder begleitet, die AWO-Kitas in strukturschwachen Vierteln oder Städten besuchten. Darunter auch 21 AWO-Kitas aus NRW. Demnach stammen die Teilnehmer, deren Lebensläufe in die Studie eingeflossen sind, unter anderem aus Bergkamen, Dortmund, Bochum, Essen, Münster, Düsseldorf, Dinslaken, Hamm und Herford.

„Die Ergebnisse zeigen, dass Armut kein Automatismus ist“, resümierte Dr. Irina Volf vom ISS. Zwei Drittel der Befragten haben den Ausstieg aus der Armut vollzogen. Ein Drittel der armen Kinder bleibt auch im jungen Erwachsenenalter arm. Der Übergang ins junge Erwachsenenalter ist dabei ein Scheideweg im Leben dieser Menschen. Er stellt eine Chance dar, der Armut der Familie zu entwachsen. Er kann aber auch in die weitere Armut führen.
Hierfür hat die Studie mehrere Risikogruppen identifiziert. Armut ist oft weiblich: Doppelt so häufig sind es junge Frauen, die trotz gleicher Bildung wie ihre männlichen Altersgenossen in der Armut verbleiben. Die Erkenntnis der Langzeitstudie bestätigen das, was die AWO NRW schon lange fordert: nämlich die Aufwertung bestimmter als gesellschaftlich wichtig erachteter Berufe: Vor allem in den Bereichen Gesundheit und Pflege, in denen mehrheitlich Frauen beschäftigt sind, bedarf es besserer Bedingungen.

Insbesondere junge Frauen mit Armutserfahrung, die hierzu in der letzten Phase der Studie befragt wurden, fordern die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf - sowohl mit Blick auf die Anforderungen seitens der Arbeitgeber als auch die Verfügbarkeit von Kinder-Betreuungsplätzen. Vor allem alleinerziehende Frauen, die schon im jungen Erwachsenenalter eine Familie gegründet haben, gelten als armutsgefährdet. Ein Blick in die Statistik bestätigt dies: Die Armutsgefährdungsquote von Alleinerziehenden in NRW lag 2018 bei 45,2 Prozent.

„Die Nachteile, die den Ein-Eltern-Familien das Leben schwer machen, wollen wir nicht mehr hinnehmen. Ein Fünftel aller Familien in NRW hat einen alleinerziehenden Elternteil. 40 Prozent dieser Familien leben von Hartz 4“, sagt Michael Scheffler, Vorsitzender der AWO NRW.

Kinderarmut bedeute Einkommensarmut der Eltern – da waren sich die Experten einig. Eine zentrale Maßnahme gegen Kinderarmut sei - neben der Einführung einer einkommensabhängigen Kindergrundsicherung - die Einkommenssituation der Eltern zu verbessern. Denn Arbeit alleine helfe nicht gegen Armut. Wichtig sei eine „gute und existenzsichernde Arbeit der Eltern“, so Alexander Nöhring, Geschäftsführer des Zukunftsforum Familie.

Gerhard Bäcker, Professor an der Uni Duisburg-Essen, sprach sich in seinem Vortrag sogar dafür aus, den Mindestlohn auf 12 Euro anzuheben. Wiedereinstiegsförderungen, Ausbau der Kinderbetreuung für Unter-Dreijährige sowie eine Anhebung der SGBII-Sätze waren weitere konkrete Maßnahmen, die Bäcker nannte. Mit Blick auf Kinderarmut bezeichnete er NRW als „besonders stark gebeuteltes Bundesland“. Die Statistik zeige, dass die Zahl der Kinder, die Grundsicherung (Hartz 4) empfangen, kontinuierlich steige. In Gelsenkirchen liege sie etwa bei 40,7 Prozent der Unter-15-Jährigen.

Kommunen finanziell zu entlasten und ihnen dadurch mehr Möglichkeiten zu geben, soziale Angebote zu schaffen, dafür sprach sich Christian Woltering, Geschäftsführer des Paritätischen NRW, in einer abschließenden Podiumsdiskussion aus. Systematisch habe man in den letzten Jahrzehnten erlebt, dass soziale Infrastruktur abgebaut wurde – vor allem außerhalb der Ballungszentren. Dies sei aber wichtig, um soziale Teilhabe zu ermöglichen.

Für eine Landesarmutskonferenz, für ein Zusammenrücken der Verbände und der kommunalen Spitzenverbände, um gemeinsam Maßnahmen gegen Armut voranzutreiben, sprach sich Michael Scheffler abschließend aus. „Wir wollen ein Sprachrohr sein für alle Menschen, die in Armut leben.“


Das Foto zeigt von links: Moderator Tom Hegermann, Anja Weber (DGB-Vorstand NRW), AWO-Vorsitzender Michael Scheffler, Dörte Schall (Beigeordnete Stadt Herne) und Christian Woltering (Landesgeschäftsführer Partitätischer NRW).

Presseinformation als PDF

Im Folgenden finden Sie die Präsentationen der Veranstaltung als PDF in der Reihenfolge der Vorträge.

Weitere Nachrichten

Meldung vom 03.06.2024
Gesundheit von pflegenden Angehörigen ist die Grundlage für eine funktionierende Gesellschaft weiterlesen
Meldung vom 01.06.2024
Jetzt ist es offiziell: Die AfD ist als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft. Weil es bei der Europawahl keine 5-Prozent-Hürde gibt, werden wir Krah und Konsorten wohl nicht verhindern können. weiterlesen
Meldung vom 24.05.2024
Der AWO Bezirk Westliches Westfalen hat ein Projekt ins Leben gerufen, um seine Auszubildenden besser zu unterstützen. Unter dem Motto „Lass uns reden!“ können sich die Berufs-Einsteiger vertraulich an Torsten Jaspers wenden, wenn es mal schwierig wird. weiterlesen
Meldung vom 22.05.2024
Der AWO Bezirk Westliches Westfalen wendet sich in einem Brief an seine Mitarbeitenden und ruft sie dazu auf, am 9. Juni wählen zu gehen: weiterlesen
Meldung vom 21.05.2024
AWO-Einrichtungen haben Sinnbilder der Solidarität für Geflüchtete weltweit gestaltet weiterlesen
Meldung vom 21.05.2024
Bei der AWO sind wir uns einig: in einem bunten, weltoffenen und demokratischen. Wir appellieren an alle, am 9. Juni wählen zu gehen und die Stimmen zu erheben gegen rechts und für Demokratie. weiterlesen
Meldung vom 15.05.2024
Die Teams in den Kliniken der AW Kur und Erholung engagieren sich tagtäglich in den schönsten deutschen Erholungsgebieten für Menschen in Erziehungs- und Pflegeverantwortung. weiterlesen
Meldung vom 10.05.2024
„Die Mängelliste in der stationären Altenhilfe wird immer länger“ weiterlesen
Meldung vom 08.05.2024
Anlässlich des Europatags am 9. Mai fordert die Arbeiterwohlfahrt (AWO) die Europäische Union zu mehr Einsatz bei der Armutsbekämpfung auf. weiterlesen
Meldung vom 01.05.2024
Das Gemaule über das Bürgergeld soll der CDU zu alter Stärke verhelfen. Unermüdlich und mit vereinten Boulevard-Kräften bläst sie zur Attacke gegen das angeblich "arbeitnehmerfressende" Bürgergeld-Monster. weiterlesen