Die Zahl der Jugendlichen, die nach der Schule ohne Ausbildungsplatz oder Anschlussqualifizierung dastehen und quasi abtauchen, steigt in der Corona-Krise deutlich an. Das belegt der aktuelle Arbeitslosenreport der Landesarbeitsgemeinschaft Freie Wohlfahrtspflege (LAG). Gleichzeitig sinkt auch die Zahl der gemeldeten Ausbildungsplätze - eine schlechte Entwicklung. „Wir dürfen in der Corona-Krise die jungen Menschen im Übergang von der Schule in den Beruf nicht übersehen“, warnt der LAG-Vorsitzende Dr. Frank Johannes Hensel.
Die Zahl der Bewerberinnen und Bewerber um einen Ausbildungsplatz ist in der Corona-Pandemie stark zurückgegangen, so die offizielle Statistik der Bundesagentur für Arbeit. 2020/2021 gab es 107.529 Bewerber um einen Ausbildungsplatz (2018/2019: 128.508). Ein wichtiger Grund sind die beschränkten Zugangswege zu Berufsberaterinnen, Schulsozialarbeitern und Lehrern. Dadurch stehen Schülerinnen und Schüler in Abgangsklassen in einer für sie ohnehin extrem belastenden Situation ohne Ansprechpartner da. Ihnen fehlen Personen, die ihnen mit professioneller Unterstützung im direkten Kontakt weiterhelfen können.
„Jobcenter und Arbeitsagenturen waren und sind wegen Corona oft schwerer erreichbar“, sagt der LAG-Vorsitzende Hensel. „Am Ende tauchen etliche der Jugendlichen ab und melden sich gar nicht erst ausbildungssuchend“, warnt er. Damit junge Menschen nicht schon beim Start ins Berufsleben verlorengehen, müssen sie verlässliche Begleitung am Übergang von der Schule in den Beruf durch Lehrer, Schulsozialarbeiter sowie durch die Beratungsfachkräfte der Arbeitsagenturen erfahren.
Hensel: „Wirtschaft und Arbeitsmarkt suchen händeringend nach Fachkräften. Wir müssen den jungen Menschen hinterhergehen, damit sie nicht verloren gehen: mit aufsuchenden Angeboten, einer Mobilität der Arbeitsagenturen bis in die Sozialräume hinein, mit regelmäßiger Präsenzberatung beispielsweise in offenen Treffs und anderen Einrichtungen der Jugendhilfe. Zudem muss die Elternarbeit bei der Begleitung und Förderung junger Erwachsener mitgedacht und mitfinanziert werden.“
Industrie und Handwerk sollten nach Auffassung der Wohlfahrtsverbände für weiter erhöhte Ausbildungskapazitäten sorgen. Zwar erhalten rein rechnerisch derzeit fast alle Bewerbenden eine Stelle, doch in der Praxis brauche man einen Angebotsüberhang von 12,5 Prozent an Ausbildungsstellen, damit die Besetzungen überhaupt gelingen können.
Hensel: „Wir haben am Ausbildungsmarkt in NRW enorme Passungsprobleme. Neben hohen Ausbildungsanstrengungen der Betriebe, braucht es dringend mehr vermittelnden Einsatz, um junge Menschen bei Auswahl und Aufnahme einer Berufsausbildung zu unterstützen. Ausbildungsvorbereitende Maßnahmen, aber auch Angebote des Jugendwohnens und Landesprogramme wie ‚Ausbildungsprogramm NRW‘ oder ‚Matchingberater‘ sind hilfreich. Die wichtigen Landesprogramme dazu stagnieren oder laufen sogar aus. Das halten wir für eine Fehlentscheidung!“
Der Arbeitslosenreport NRW der Wohlfahrtsverbände zeigt auch, dass sehr oft Bewerberinnen und Bewerber ohne Schulabschluss sowie junge Menschen mit Schwerbehinderung oder ausländischer Staatsangehörigkeit zu denjenigen gehören, deren Situation besonders prekär ist. Ohne Ausbildungsplatz, ohne Fördermaßnahme, ohne weiteren Schulbesuch und ohne Arbeitsplatz gelten sie als „unversorgt“. Ihre Zahl liegt nach der Statistik der Bundesagentur bei 6993.
Hensel: „6.993 junge Menschen, die am Ende eines Ausbildungsjahres als Unversorgte dastehen, ohne schulische oder berufliche Perspektive – das sind 6.993 große Verluste!“ Diese jungen Menschen dürften nicht als „Generation Corona“ ins Abseits geraten. „Um sie zu erreichen, brauchen wir jetzt deutlich mehr aufsuchende Angebote im Sozialraum, auch in neuen und ungewöhnlichen Kooperationen, etwa mit Vereinen, offenen Treffs und anderen Einrichtungen der Jugendhilfe. Gerade ehemalige Förderschüler sollten dabei besondere Aufmerksamkeit finden“, fordert der LAG-Vorsitzende.