AWO-Appell für notleidende Menschen in Afghanistan

26.01.2022

Bezirk unterstützt Aufruf zur schnellen und unbürokratischen Hilfe

Die erschütternden und hoffnungslosen Bilder aus Afghanistan nach dem Tag der gewaltvollen Machtübernahme der Taliban sind wieder aus den Medien und so auch aus unserer Wahrnehmung verschwunden. Doch die Situation bleibt lebensgefährlich und entwickelt sich zu einer humanitären Katastrophe.

Die Arbeiterwohlfahrt fordert daher eine schnelle und unbürokratische Hilfe für Afghan*innen und appelliert an die neue Bundesregierung:

  • ein humanitäres Aufnahmeprogramm des Bundes für besonders gefährdete Personengruppen aus Afghanistan einzurichten
  • Landesaufnahmeprogramme für gefährdete Familienangehörige (auch außerhalb der Kernfamilie) von in Deutschland lebenden Afghan*innen einzurichten bzw. das hierzu erforderliche Einvernehmen des Bundes zu erteilen
  • zur Entlastung der Nachbarstaaten Afghanistans zusätzliche Aufnahmeplätze für Afghan*innen im Rahmen des deutschen Resettlement-Programms zur Verfügung zu stellen
  • einen schnellen, unbürokratischen Familiennachzug zu in Deutschland lebenden Schutzberechtigten und die dazu notwendige Einrichtung von Familiennachzugsverfahren an allen deutschen Auslandsvertretungen in der Region sicherzustellen

Hintergrund:
Die Lage in Afghanistan ist seit Jahren desolat und mit der Machtübernahme der Taliban eskaliert. Menschen werden gefoltert, getötet, die Frauenrechte massivst eingeschränkt und Wirtschaftsexpert*innen warnen vor einem Wirtschaftskollaps in den nächsten Monaten. Die Situation für die Betroffenen vor Ort ist katastrophal und eine behördliche Infrastruktur steht nicht zur Verfügung. Jetzt sind rasche Entscheidungen und Handlungen der internationalen Staatengemeinschaft gefragt –  vor allem aber der Länder, die in den letzten Jahrzehnten Militäreinsätze in Afghanistan durchgeführt haben. Deutschland muss den Menschen vor Ort, die für deutsches Militär, Behörden, Subunternehmen und aus Deutschland finanzierte NGOs gearbeitet haben, schnellstmöglich die Ausreise und eine Aufnahme in Deutschland ermöglichen. Das Gleiche gilt für ihre ebenfalls gefährdeten Familien und Angehörigen sowie Richter*innen, Journalist*innen und Menschenrechtler*innen. Sie alle sind unübersehbaren Gefahren ausgesetzt und haben eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung durch die Taliban zu befürchten.
Bundesweit erreichen unsere Migrationsfachdienste unzählige Hilferufe von Menschen afghanischer Herkunft, die sich um sich selbst oder ihre Familienangehörigen in Afghanistan und in den Nachbarstaaten sorgen. Viele Angehörige fühlen sich hilflos angesichts der unüberschaubaren Sicherheitslage in Afghanistan sowie aufgrund der Intransparenz deutscher Aufnahmezusagen und Evakuierungen oder sonstiger Möglichkeiten, das Land sicher zu verlassen. Auch das Familiennachzugsverfahren ist für in Deutschland lebende Afghan*innen sowie für die Menschen vor Ort intransparent, kompliziert oder erst gar nicht zugänglich. Da die deutsche Botschaft in Afghanistan geschlossen ist, müssen die Familiennachzügler*innen zunächst in die Anrainerstaaten kommen, um dort bei einer deutschen Botschaft vorzusprechen. Eine Ausreise aus Afghanistan ist aber in den meisten Fällen durch die Kontrolle der Taliban und/oder aufgrund fehlender Reisepässe unmöglich.
Angesichts dieser Situation müssen Vereinbarungen mit den Nachbarländern Afghanistans getroffen werden, um gefährdeten Personen eine gesicherte Einreise in diese Länder und die Weiterreise nach Deutschland zu ermöglichen. Die neue Bundesregierung muss sich dafür einsetzen, dass gefährdete Menschen die Nachbarstaaten sicher erreichen können. Visaverfahren zur Familienzusammenführung müssen nun priorisiert sowie zügig und unter Ausschöpfung aller Ermessenspielräume umgehend bearbeitet und entschieden werden. Zur Vermeidung gefährlicher Reisen muss die Visaantragstellung auch digital möglich sein.
Zusätzlich müssen die Kapazitäten der deutschen Auslandsvertretungen in der Region massiv ausgebaut werden, damit Visa für afghanische Staatsangehörige zügig ausgestellt werden können (sogenannte „Globalzuständigkeit“). Bürokratische Hürden müssen angesichts der dramatischen Situation abgebaut werden: Anforderungen an Dokumente müssen reduziert – z.B. abgelaufene Reisepässe sollten als Identitätsnachweis berücksichtigt werden und zur Ausreise ermächtigen – und von den Erteilungsvoraussetzungen wie Sprachnachweisen muss abgesehen werden. Zudem muss der Tatbestand der „außergewöhnlichen Härte“ großzügig ausgelegt werden, um den Familiennachzug weiterer Angehöriger – etwa erwachsener lediger Kinder – zu ermöglichen. Grundsätzlich muss die Zahl der Resettlementplätze für 2022 erhöht werden und für Afghan*innen bereit stehen, um den hohen Gefahren einer illegalen Flucht entgegen zu treten und sichere und legale Fluchtwege zu eröffnen. Zusätzlich müssen humanitäre Aufnahmeprogramme ausgebaut und verstetigt werden.
Unsere Beratungsdienste sind täglich mit dem unfassbaren Leid und der Sorge der in Deutschland lebenden Afghan*innen um ihre Angehörigen befasst. Dieses Leid und die Sorge lassen auch unsere Berater*innen vor Ort verzweifeln, da es keinen Trost oder Lösungen gibt. Gleichermaßen erklären unsere Dienste ihre Bereitschaft, Afghan*innen, die bereits in Deutschland sind und noch ankommende Afghan*innen mit ihrer großen fachlichen Expertise und umfassenden Netzwerken zu unterstützen. Gleichzeitig gibt es aus den Bundesländern starke Signale der Bereitschaft, afghanische Flüchtlinge aufzunehmen und ihnen ein neues Zuhause zu geben. Daher müssen den Bundesländern eigene Aufnahmeprogramme ermöglicht werden.
Zugleich ist es auch dringend notwendig, in Deutschland lebenden Afghan*innen eine sichere Perspektive zu bieten. Für viele bedeutet die Machtübernahme der Taliban, dass für sie eine Rückkehr nach Afghanistan auf absehbare Zeit ausgeschlossen ist. Dies muss sich auch in einer geänderten Anerkennungspraxis des BAMF niederschlagen. Zudem braucht es einen generellen Abschiebungsstopp und eine Bleiberechtsregelung für diese Personen.

Im Januar 2022