Humanes Sterben mit Gütesiegel?

29.10.2009

Die 3. Fachtagung Hospiz NRW fand am 21. Oktober 2009 in Dortmund statt. Mehr als 400 Teilnehmer diskutierten über die Zukunft der Hospizarbeit.

Hospiz will sterbenden Menschen helfen, ihr Leben bis zum letzten Augenblick in Würde und ohne Schmerzen zu gestalten. Hospiz will den Menschen den letzten Lebensraum geben. Ist dieser Gedanke mittlerweile in der palliativen Versorgung angekommen? Das Fazit zum Schluss der dritten Fachtagung Hospiz NRW in Dortmund lautete: „Einige Fragezeichen bleiben noch!“

Hospizbewegung und Palliativversorgung sind sich immer noch fremd und begegnen sich in unterschiedlichen Hierarchien und Strukturen. „Es fehlt an Respekt und Wertschätzung untereinander“, brachte es ein Experte auf den Punkt – trotz gleicher, inhaltlicher Ausrichtung

Die Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege NRW hatte zusammen mit dem Hospiz- und Palliativverband NRW und Alpha Rheinland Träger, Mitarbeiter und Ehrenamtliche aus allen Bereichen der Hospiz- und Palliativarbeit eingeladen,  sich Gedanken darüber zu machen, wie eine humane, palliative Versorgung sterbender Menschen in Zukunft aussehen könnte.

In den Einrichtungen und Diensten sind Sterben, Tod und Trauer Teile des alltäglichen Lebens. Aber: Die gesetzliche Regelung zur spezialisierten ambulanten Palliativversorgung – kurz SAPV - „entfernt uns immer weiter vom Menschen und dem Hospizgedanken“, hieß es dazu. SAPV lässt Geld vermuten, die Palliativversorgung wird geknüpft an Qualitätsanforderungen. „Das bringt die DIN-Norm in die Hospizarbeit“, überspitzt es Prof. Dr. Dr. Reimer Gronemeyer aus Gießen.

Die gesetzlich verordnete Übernahme der Kosten professioneller Sterbebegleitung durch die Krankenkassen sei „Sterben mit Gütesiegel – ein changiertes Wohlfühlambiente irgendwo zwischen Ikea und lignet rose.“
Gronemeyer, Jahrgang 1939, ist promovierter Theologe und Soziologe. Er gilt als namhafter Kritiker der Versorgung durch das Gesundheitssystem. „Ich habe großen Respekt vor der Hospizarbeit.“ 

„Die Hospizbewegung kommt mit leeren Händen, aber mit viel Zeit, weil sie sich nicht in Strukturen verdingen muss“, sagt Hildegard Kuhlmann, Referatsleiterin Altenhilfe und Sozialstationen beim Caritasverband in Münster.  Hospizarbeit definiert sich nicht über Geld, sondern über das Ehrenamt. Die Sterbebegleiter begegnen Pflegebedürftigen als Freunde und sensible Menschen. Das zählt. „Die Zertifizierung ist ein notwendiges Übel. Mehr nicht“, sagt Gronemeyer.

Durch die neue gesetzliche Regelung zur spezialisierten ambulanten Palliativversorgung,  dies unterstreicht Wolfgang Altenbernd, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege NRW, habe die Freie Wohlfahrtspflege NRW 2007 eine große Chance gesehen, die Situation sterbender Menschen zu verbessern. „Leider hat der Gesetzgeber eine starke Fokussierung bzw. Eingrenzung auf Patienten mit schwerwiegenden Erkrankungen vorgegeben.“ Sterbende Menschen wie etwa  Schlaganfallpatienten, alte Leute ohne Schmerzproblematik, Demenzerkrankte oder Herzpatienten fallen durch das Raster. „Es herrscht ein breiter gesellschaftlicher und politischer Konsens darüber, die Hospizarbeit weiter zu fördern“, sagt Dr. Julius Siebert, als leitender Ministerialrat vom NRW-Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales an diesem Tag Gast der 3. Fachtagung Hospiz in Dortmund.

Die Bilanz nach 25 Jahren Hospizbewegung in Deutschland darf sich sehen lassen: mehr als 100 stationäre Hospize, mehr als 1000 Hospizdienste und 80000 ehrenamtliche Helfer, davon 8000 in NRW. Der Ministerialrat wirbt um ein neues Verständnis im Umgang mit Sterben und Tod.  Die Rahmenbedingungen hätten sich bereits verbessert, es gelte nach wie vor der Grundsatz „ambulant vor stationär“.

Deutschland befindet sich durch die aktuellen gesetzlichen Verankerungen im Umbruch, das europäische Nachbarland Irland ist in der Umstrukturierung der Hospiz- und Palliativarbeit schon einige Schritte weiter. Als Frau aus der Praxis steht Deborah Hayden aus Dublin, geschäftsführendes Mitglied der Irish Association for Palliative Care, während der Fachtagung zur Verfügung. Die Palliativ-Krankenschwester, Studienleiterin in Our Lady’s Hospice und Dozentin am University College Dublin sagt. „Bei uns können alle einen guten Tod sterben.“ 

In Irland leben 4,2 Millionen Menschen. Auf 100.000 Einwohner kommen 10 stationäre Hospizplätze. Die palliativ-medizinische Versorgung ist so angelegt, dass ein Facharzt und drei weitere Ärzte für 160.000 Einwohner zuständig sind.  Einem Akutkrankenhaus mit 150 Betten steht ein multidisziplinäres Team zur Verfügung. Irland hat Standards entwickelt. Der Staat finanziert, lenkt und leitet. 308 Millionen Euro werden in den nächsten fünf Jahren für die Hospiz- und Palliativarbeit zur Verfügung gestellt, die Regierung hat sich aber gleichzeitig  Kürzungen von vier Milliarden bei den öffentlichen Ausgaben verordnet.

„Irland sieht einen wachsenden Bedarf durch die Überalterung der Bevölkerung. Wir haben es hier nicht nur mit Krebspatienten zu tun. Die palliative Versorgung muss ausgeweitet werden auf Menschen mit Demenz“, sagt Hayden. Das sieht auch Prof. Dr. Dr. Reimer Gronemeyer so. „Die Herausforderungen der kommenden Jahrzehnte angesichts des demographischen Wandels sind: mehr Hinfälligkeit, mehr Demenz, mehr Altersarmut und mehr Einsamkeit. Ich glaube an die Zukunft der Hospizbewegung. Nicht als mobile Einsatzgruppe eines Dienstleisters, die an ihrer Bilanz gemessen wird“, dreht Gronemeyer zum Schluss seines Vortrags noch einmal groß auf. Jede Zeit bringe schließlich die Krankheit hervor, die zu ihr passt. Achtung, Ironie: „Die Demenz ist die schöne letzte Chance der Hospizbewegung.“

Prof. Dr. Dr. Reimer Gronemeyer        Deborah Hayden 

Prof. Dr. Dr. Reimer Gronemeyer,
Gießen, promovierter Theologe und
Soziologe, Professor der Soziologie
an der
Justus-Liebig-Universität in Gießen

      Deborah Hayden, Dublin, Geschäftsführendes Mitglied
der Irish Association for Pallative Care

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