Keine einheitlichen Standards – Ungleiche Verhältnisse in den Regionen:

20.10.2016

Finanzierungslücken werden immer größer: Offene Ganztagsschulen vor dem Kollaps

Die Offene Ganztagsschule droht zunehmend zu einem Zuschussgeschäft für die Träger zu werden und verschärft obendrein die bestehenden sozialen Schieflagen gerade in den strukturschwachen Regionen Nordrhein-Westfalens in besorgniserregendem Maße. Zu dieser Einschätzung kommt die Landesarbeitsgemeinschaft der Arbeiterwohlfahrt Nordrhein-Westfalen. „Von Chancengleichheit kann da längst nicht mehr gesprochen werden", formuliert Jürgen Otto, Geschäftsführer der LAG AWO NRW.

Ohne eine Reform des bestehenden Finanzierungsmodells werde das System dauerhaft in eine ernsthafte Schieflage geraten. Denn mit jeder neuen Kostenbelastung, die etwa aus der regelmäßigen tariflichen Anpassung der Mitarbeiterentlohnung resultiere, gehe die Schere noch weiter auseinander. „Und ganz schwierig wird es, wenn die Kosten im Einzelfall durch besondere Förderbedarfe noch deutlich über den üblichen Aufwand hinausgehen - so etwa bei der Betreuung von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf oder bei Migranten- und Flüchtlingskindern", so Jürgen Otto.

Die Rechnung ist für alle Träger gleich, wie die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtsverbände NRW feststellen: Die Kosten pro OGS-Platz und Kind liegen bei 3.075,18 Euro pro Kind und Jahr. Der NRW-Landeshaushalt stellt für die Offene Ganztagsschule 413 Millionen Euro zur Verfügung - oder 994 Euro pro Kind. Zuzüglich des kommunalen Pflichtanteils in Höhe von 435 Euro ergeben sich 1.429 Euro. Die entstehende Finanzierungslücke - immerhin beträchtliche 1.646,18 Euro - muss von den jeweiligen Kommunen zusätzlich übernommen werden. Und genau da liegt die Schwäche des Systems: Denn die Städte und Gemeinden sind nur in der Lage, sich jeweils nach eigener Finanzkraft zu engagieren. „Und da reicht die Spanne von 0 bis zu 1.771 Euro", schildert Jürgen Otto. Im schlimmsten Fall bleibe der jeweilige OGS-Träger also auf einer Lücke in Höhe von 1.646,18 Euro pro Kind sitzen. „Auf Dauer hält das kein Verband durch." Ganz zu schweigen davon, dass dem von den Schulen gemeldeten Bedarf an sonderpädagogischer Förderung in vielen Kommunen ohnehin bei Weitem nicht entsprochen werden könne.

Besonders ausgeprägt seien die Probleme in Regionen mit ohnehin bestehenden sozialen Ungleichheiten, schließlich fänden sich auch dort die Kommunen mit der schwächsten finanziellen Ausstattung: „Das ist völlig kontraproduktiv: Finanzschwache Kommunen, in denen Familien mit prekären Lebensverhältnissen überrepräsentiert sind, können nur einen deutlich geringeren OGS-Beitrag leisten und halten deshalb nur ein qualitativ minderwertiges Angebot vor", kritisiert Jürgen Otto. Letztlich hängen die Bildungschancen in Nordrhein-Westfalen also davon ab, ob die Kinder in einer reichen oder in einer armen Kommune aufwachsen.

Und, noch schlimmer: Auf Dauer könne es auch nicht gelingen, das Fachpersonal nicht nur angemessen zu besolden, sondern auch Fachkräfte überhaupt noch zu gewinnen. Denn angesichts der erheblichen Finanzierungslücken seien inzwischen offene Stellen an vielen Standorten schon gar nicht mehr zu besetzen - ganz zu schweigen von qualifizierten Bewerber*innen.

Einen klaren Kurswechsel fordert vor diesem Hintergrund die Arbeiterwohlfahrt in Nordrhein-Westfalen: Dazu gehört nicht allein eine auskömmliche Regelfinanzierung, sondern auch die Festlegung einheitlicher Mindeststandards, vor allem hinsichtlich der Qualifikation der Mitarbeiter*innen und deren tariflichen Entlohnung. „Die müssen gesetzlich verankert und verbrieft werden." Deshalb unterstützt die AWO NRW auch eine für das erste Halbjahr 2017 geplanten Kampagne der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege NRW, die mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen für das Recht der Kinder und Jugendlichen auf einheitliche und gute Standards in der Offenen Ganztagsschule eintreten will.

Die AWO betreibt in NRW gegenwärtig über 450 Offene Ganztagsschulen. Dort wird jedes siebte OGS-Kind betreut. Das Ministerium für Schule und Weiterbildung NRW geht davon aus, dass landesweit 305.100 OGS-Plätze zur Verfügung stehen, davon 17.500 für Kinder aus geflüchteten Familien.

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