Ungewöhnliche Protestaktion zum Antikriegstag in Dortmund

02.09.2022

Mit einer ungewöhnlichen Protestaktion zum Internationalen Antikriegstag am 1. September hat die AWO in Dortmund auf sich aufmerksam gemacht: Mit dem bereits in anderen Städten viel beachteten Motivwagen des Düsseldorfer Künstlers Jacques Tilly setzte die Arbeiterwohlfahrt ein viel fotografiertes Zeichen gegen den Krieg in der Ukraine. Dazu gab es fast drei Stunden lang Talks und Musik im Schatten der Reinoldikirche - moderiert vom Geierabend-Steiger Martin Kaysh.

„Erstick dran“ - Motivwagen nimmt Putins Angriffskrieg ins Visier

Die dreidimensionale Karikatur - eine übergroße Putin-Figur, die sich die Ukraine in den Rachen schiebt - ist versehen mit der Aufschrift „Erstick dran“. Dafür gab es viel Applaus von überraschend vielen Ukrainer*innen, die der Aktion in der Dortmunder City beiwohnten. Aber es gab auch immer wieder kritische Kommentare von russisch-stämmigen oder Putin-freundlichen Passant*innen. Die Zustimmung überwog - immer wieder waren Menschen mit ukrainischen Fahnen zu sehen, die für Fotos vor dem Motivwagen posierten.

Auf der kleinen Bühne wurde Klartext geredet: „Gerade am Antikriegstag ist es wichtig, ein deutliches Zeichen gegen den Angriffskrieg von Putin zu setzen. Das ist ein Verbrechen - begangen vom russischen Präsidenten, nicht vom russischen Volk“, betonte die Dortmunder AWO-Vorsitzende Anja Butschkau. „Die AWO steht seit mehr als 100 Jahren für Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Der Einsatz gegen den Krieg gehört zu ihrer geschichtlichen Verantwortung.“

Das unterstrich auch der AWO-Bezirksvorsitzende Michael Scheffler: „In einer zivilisierten Welt ist es unvorstellbar, einen solchen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg zu machen. Das ist kein Krieg der Russinnen und Russen, sondern von Putin“, so Scheffler. Und es sei keineswegs der erste Krieg, den der russische Präsident angezettelt und zu verantworten habe, sagte er mit Blick auf diverse Kriege bis hin zur Besetzung der Krim 2014 und den Kämpfen um den Donbass.

Die Kriegsfolgen treffen auch Deutschland massiv

„Auch in Syrien spielt er nicht gerade eine friedensstiftende Rolle.“ Zudem verwies Scheffler auf Putins Unterstützung für Rechtsradikale und Populisten in Europa sowie für Donald Trump. Dazu kämen staatlich verordnete Cyberangriffe und Desinformations-Kampagnen, demokratische Länder und Wirtschaften zu destabilisieren. „Das waren nicht gerade vertrauensbildende Maßnahmen“, so der AWO-Bezirksvorsitzende.

Dieser Krieg hat nicht nur verheerende Folgen für die Menschen in der Ukraine, sondern gravierende wirtschaftliche Folgen weltweit. Auch Deutschland bekomme diese Folgen massiv zu spüren, sagte Anja Butschkau nicht nur mit Blick auf die Hunderttausenden von Geflüchteten, sondern auch mit Blick auf die Explosion der Lebenshaltungskosten und der durch Putin zu verantwortenden Gas- und Stromkrise.

„Wir müssen uns auf steigende Armut einstellen.“ Gerade deshalb sei die zunehmende Aufrüstung in Deutschland ein Problem: „Wir müssen verhindern, dass die Milliarden für Waffen nicht zu Lasten der Sozialetats gehen.“

Das ist auch Michael Scheffler eine Herzensangelegenheit: „Es kann nicht sein, dass Finanzminister Lindner im Sozialbereich mit dem Hut rumgeht, um Geld für Waffen einzusammeln. Wir müssen ausreichend Gelder zur Verfügung stellen, um die vielen Menschen, die die Energie- und Lebenshaltungskosten nicht mehr zahlen können, zu unterstützen“, der der Bezirksvorsitzende. „Aber auch Kommunen brauchen Gelder für die Infrastruktur und die Folgekosten.“

Westphal: „Auf den Bombenkrieg folgt der Wirtschaftskrieg“

Das ist ein Punkt, den auch Dortmunds Oberbürgermeister Thomas Westphal umtreibt. Denn auf die Kommunen kommen sowohl bei der Energiekrise, als auch bei der Unterbringung der rund 7000 geflüchteten Menschen aus der Ukraine allein in Dortmund Mehrausgaben in Millionenhöhe zu. Sich um die Menschen, ihre Unterbringung und ihre Integration zu kümmern, darin habe Dortmund Erfahrung. Doch das müsse finanziert werden.

Er machte zudem deutlich, dass dem „Bombenkrieg der Wirtschaftskrieg folgt“ - schließlich setze Putin die Gasversorgung als Waffe gegen den Westen ein. Er erneuerte seine Forderung, dass Europa nicht mehr jeden Preis für das Gas zahlen dürfe, weil das die Weltmarktpreise weiter nach oben treibe. Davon profitierten Putin und die Gaslieferanten. Daher sei Gassparen jetzt oberstes Gebot. Zudem dürften die explodierenden Kosten für die Beschaffung von Gas und Strom nicht 1:1 an die privaten Haushalte durchgereicht werden.  

„Wir brauchen eine regulierende Wirtschaftspolitik und einen Gassicherungsfonds, der schon den Preisdruck wegnimmt, bevor er zum Endkunden kommt“, so Westphal. Das wird auf Bundesebene aktuell unter dem Begriff Gaspreisbremse diskutiert. Die Haushalte zu schützen sei extrem wichtig: „Sonst zerstören wir den sozialen Frieden in den Städten“, so Westphal. Dazu zählt er auch die zusätzlichen finanziellen Belastungen für die Kommunen. Der Bund müsse hier für Entlastung sorgen - dies haben die Kommunen bereits frühzeitig über den Städtetag eingefordert.

Dortmunds Oberbürgermeister hat dabei nicht nur den aktuellen Winter im Blick, sondern auch die folgenden Jahre: „Wie es jetzt aussieht, ist dieser Winter noch machbar. Die nächsten werden nicht einfacher. Das Problem wird sich nicht schnell lösen, die Weltlage bleibt schwierig. Wir müssen sehen, dass wie wir dauerhaft vom Gas wegkommen. Aber das wird dauern“, sagte er mit Blick auf die erneuerbaren Energien. „Daher müssen wir jetzt sparen.“

Umstrittener Appell: „Die Waffen müssen schweigen“

Thema war vor der Reinoldikirche natürlich auch der Aufruf „Die Waffen müssen schweigen“, die auch Westphal unterzeichnet hatte. Dies hatte ihm - wie schon im Mai - auch Kritik eingebracht. Westphal wurde u.a. als „Putin-Versteher“ diffamiert, der seinem Bundeskanzler in den Rücken falle und der Ukraine das Recht auf Selbstverteidigung abspreche. All das sei aber nicht der Fall, stellte Westphal (abermals) klar.

Natürlich habe die Ukraine das Recht, sich zu verteidigen. Es sei offensichtlich, wer der Aggressor sei.  Putin führe einen „aggressiven und völkerrechtswidrigen Angriffskrieg“, den auch die Unterzeichnenden des Appells verurteilten. Dennoch müsse man auch weiter das Gespräch suchen - auch und gerade mit dem Aggressor. Denn ohne Putin könne es keinen Frieden geben. Westphal sah sich da ganz im Geiste von Egon Bahr, einem der Väter der deutschen Ostpolitik unter Willy Brandt.

Denn nur Verhandlungen könnten zu einem Ende des Krieges führen. Dies militärisch bis zum Ende zu führen, sei zwar vielleicht möglich. „Aber zu welchen Opfern“ sagte Westphal mit Blick auf die schon jetzt tausenden Toten und Millionen von Vertriebenen. Das sei auch der Grund, warum Westphal bei den Waffenlieferungen zur Vorsicht mahnt. Seine Sorge: Aus dem Krieg auf dem Gebiet der Ukraine könne ein Flächenbrand und in der Folge auch ein Weltkrieg entstehen, wenn Deutschland sich durch seine Waffenlieferungen zur Kriegspartei mache.

„Lieber 1000 Stunden verhandeln, als eine Minute schießen“

Mit dieser Sorge stand Westphal nicht allein: Auch René Röspel, früher SPD-Bundestagsabgeordneter für Hagen und AWO-Vorsitzender im Unterbezirk Ennepe-Ruhr, forderte Gespräche. Es könne nicht sein, dass alle Möglichkeiten vom Tisch gewischt würden und nur die Waffen sprechen sollten. Gerade bei dem sich jetzt abzeichneten Zermürbungskrieg - keine der Kriegsparteien verzeichnet größere Geländegewinne - drohten jahrelange Kämpfe und noch viel mehr Tote. Zudem werde das zukünftige Zusammenleben auf Dauer zerstört.

Er bemühte zur Untermauerung den Ausspruch „Lieber 1000 Stunden verhandeln, als eine Minute schießen“. „Daher sollten wir versuchen, an einem Tisch zu reden, um möglichst viele Leben zu retten, ohne über die Grenzen zu sprechen. Was anderes sehe ich nicht“, so Röspel.

Wie wichtig das Reden sei, hatten zuvor Präsident Klaus Wegener und Geschäftsführer Marc Frese von der Auslandsgesellschaft deutlich gemacht. Denn die Auslandsgesellschaft - 1949 gegründet - ist ein Kind des Zweiten Weltkrieges, welches für das Ziel der Versöhnung zwischen früheren Kriegsparteien steht.

Internationaler Austausch, politische Bildung und Sprachen-Lernen sind die drei großen Säulen des Vereins, bei dem aktuell 300 Menschen aus der Ukraine Deutsch lernen und einen Integrationskurs besuchen. Dort gibt es auch Plätze im Europäischen Freiwilligendienst - bis zum Sommer waren hier zwei Freiwillige aus der Ukraine und eine aus Belarus im Einsatz. Sie halfen mit, sprachlich die Integrationsbemühungen der Geflüchteten zu unterstützen.

Der Präsident der Auslandsgesellschaft erinnerte daran, dass sein Verein vor fast 75 Jahren auf dem Fundament  der Völkerverständigung im Geiste von Humanität und Toleranz errichtet worden sei. „Da gehört die Solidarität mit der Ukraine auch zu. Ob wir dadurch jemanden vergraulen, ist uns egal. Wir stehen immer an der Seite der Menschen“, machte Wegener deutlich.

DGB-Forderung: „Starke Schultern müssen mehr tragen“

Das zeigte sich auch im Anschluss an die AWO-Aktion im Hof der Mahn- und Gedenkstätte Steinwache, wo seit Jahren auch unter Beteiligung der Internationale Antikriegstag begangen wird. Dieser wird auch vom DGB mitorganisiert. Die Dortmunder DGB-Vorsitzende Jutta Reiter räumte zuvor schon bei der AWO-Veranstaltung ein, dass „es ihr total weh tut, dass ich eingestehen muss, dass die Bundeswehr wieder Geld für Landesverteidigung braucht“. Jahrzehntelang habe man an die Landesverteidigung „keinen Gedanken verschwenden müssen“.

Doch das 100-Milliarden-Euro-Paket für die Bundeswehr sowie das Zwei-Prozent-Anteil für Verteidigung am Bundeshaushalt ruft den DGB auf den Plan: Die Notwendigkeit dieser Volumina stellte Reiter in Frage - insbesondere dann, wenn die Lasten dieser Investitionen nun auch noch die Schwächsten ausbaden müssten. Der Staat müsse viel genauer hinsehen, wer entlastet werden müsse: „Starke Schultern müssen mehr tragen. Das sehen wir aber nicht - es gibt pauschale Entlastungen für alle“, kritisiert Jutta Reiter.

„In den Gewerkschaften reicht die Verunsicherung bis weit in die Facharbeiterschaft hinein.  Da ist der Staat gefordert, für Solidarität zu sorgen und Entlastungspakete zu machen, die bei denen ankommen, die sie brauchen und nicht bei denen, die sie nicht brauchen“, kritisierte Maßnahmen mit der Gießkanne.

Massive Belastungen für das Haupt- und Ehrenamt

Das ist auch ein Thema für die Hauptamtlichen der AWO wie Marc Schaaf, Geschäftsführer des Unterbezirks Ruhr-Mitte, deutlich machte. Die Hilfssysteme seien massiv belastet; Systeme, die hart am Limit arbeiten, seien nun mit diesen zusätzlichen Herausforderungen aus dem Ukraine-Krieg konfrontiert, obwohl die Corona-Belastungen noch gar nicht vorbei seien.

„Es gibt unglaubliche Belastungen - der Krankenstand ist so hoch wie noch nie. „Ich erlebe großes Engagement von unseren Beschäftigten. Für sie ist es selbstverständlich zu helfen. Aber als Geschäftsführer muss ich die Frage stellen, wann die Belastungen so groß sind, dass das System kippt“, warnte Schaaf.

Umso wichtiger seien auch Entlastungs- und Hilfsangebote, wie sie das Projekt „Zukunft mit Herz gestalten“ der AWO in Dortmund leistet. Dazu gehören neben Informationsangeboten auch Supervisionen. In Arbeit sind offene Supervision-Onlinesprechstunden, berichtete Sigrid Pranke. „Die gesellschaftlichen Krisen und Entwicklungen schlagen so stark auf die Psyche, vielleicht ist das ein kleiner Beitrag zur Linderung.“

 

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