AWO geht im Landhaus Fernblick neue Wege

18.08.2009

Das ist einzigartig in NRW: Die Arbeiterwohlfahrt (AWO) geht im Haus Fernblick in Winterberg neue Wege gemeinsamer Erholung mit Menschen mit Demenz und ihren pflegenden Angehörigen. Die 77-Jährige Helga V. aus Wuppertal gönnt sich eine Auszeit von 14 Tagen im Sauerland. Sie betreut ihren Mann Gerd (84) seit über vier Jahren. Es ist ihr erster Urlaub vom stark belasteten Alltag. Sie will regenerieren und fühlt sich im Sauerland bestens aufgehoben.

Der 84-Jährige Gerd V. hat die Augen fest geschlossen, zwei Plätze weiter im Stuhlkreis sitzt teilnahmslos ein weiterer Senior. Sein Blick führt ins Leere. Von Gesprächsrunde kann hier kaum die Rede sein. Die Frauen führen das Wort, Therapeutin Ulrike Schaeffer moderiert. Und sie bringt Lea ins Spiel: Der Bearded-Collie mischt den Stuhlkreis so richtig auf. Helga V. bürstet den Hund. Das weckt großes Interesse bei den Frauen und unterschiedliche Reaktionen bei den an Demenz erkrankten Männern. Helga Vs. Gatte hat die Augen immer noch fest geschlossen. Plötzlich erwacht auch er aus seinem Dämmerzustand: Collie Lea hat es sich auf Befehl von Frauchen auf dem Schoß eines männlichen Gastes bequem gemacht. Die Runde lacht und kommentiert das Geschehen. Das bleibt auch dem 84-Järhigen nicht verborgen. Für einen Moment hat ihn die Gegenwart zurückgeholt.

Der Prozess war schleichend: Vor etwa vier Jahren, berichtet Helga V. habe sie Wortfindungsstörungen bei ihrem Mann fest gestellt. „Er hat immer viel gelesen und viel und präzise geredet. Stattdessen verwendet er plötzlich andere Ausdrücke." Der „erste große Schock" ereilt die Ehefrau am 80. Geburtstag ihres Mannes. „Er war nicht in der Lage, eine launig-formulierte Rede fließend abzulesen." Vier Jahre und etliche Betreuungsstunden später sitzt die agile 77-Jährige in einem der Therapieräume in Haus Fernblick und beobachtet, ob ihr Mann immer noch Anteil nimmt am Spiel mit Bearded-Collie Lea. „Ob er sich an irgendetwas aus seinem früheren Leben erinnert? Ich weiß es nicht!" Der Zustand ihres an Demenz erkrankten Mannes hat sich so verschlechtert, dass sie ihn nicht mehr alleine lassen kann. Im Sauerland kann sie abschalten. Ihr Mann ist in der Obhut von Therapeutin Ulrike Schaeffer und Altenpfleger Sascha Franz gut aufgehoben. „Ich bin froh, für 14 Tage mal nicht ständig gebunden zu sein." Länger will sie nicht im Haus Fernblick bleiben. „Eine Woche ist zu kurz, drei Wochen sind zu lang. Da habe ich Angst, dass sich mein Mann zu Hause überhaupt nicht mehr zurecht findet."

Die Eheleute Helga und Gerd V. aus Wuppertal sind wie viele andere Gäste im ersten Urlaubsdomizil in NRW, das sich vollkommen an den Bedürfnissen von an Demenz erkrankten Gästen und ihren pflegenden Angehörigen orientiert. Dazu gehören der volle Komfort und Service wie in einem Hotel mit Wellness, Sauna und Schwimmbad, ambulante Dienste und medizinisch-therapeutische Behandlungen. „Die Nähe zur Natur trägt außerdem zum Wohlempfinden bei", sagt Fernblick-Leiter Thomas Kappen. Das Landhaus ist barrierefrei eingerichtet, eine gezielte Platzierung von Möbeln, speziell angeordnete Dekorationen und Themenflure wie Winter oder Uhren erleichtert den Demenzkranken die Orientierung. Ein Garten der Sinne aktiviert (vielleicht) ursprüngliche Sinneserfahrungen wie Sehen, Riechen, Schmecken, Hören und Fühlen. Der Tagesablauf ist strukturiert, Gedächtnistraining, Gymnastik und Therapiestunden wie die mit dem Collie Lea runden das Angebot ab. „So viel Erholung wie möglich - so wenig Veränderung wie nötig", sagt Thomas Kappen. Das unterschreiben die betreuenden Frauen für sich und ihre Männer sofort.

Das Konzept ist stimmig, das Ambiente hervorragend. Dennoch ist der Ganzjahresbetrieb „Haus Fernblick" nicht genug frequentiert, um wirtschaftlich unabhängig zu sein. „Wir streben eine höhere-Prozent-Auslastung an", erklärt der Einrichtungsleiter. Thomas Kappen nennt Fakten: Bis 2010 - so die Hochrechnungen - habe die Zahl der an Demenz erkrankten Menschen in der BRD 1,1 Millionen erreicht. „Bis 2013 werden 2,3 Millionen erwartet." Tendenz und Nachfrage für die AWO-Einrichtung im Sauerland? Steigend!

INFOBOX

  • Die Arbeiterwohlfahrt Bezirk Westliches Westfalen e.V. hat das Landhaus Fernblick in Winterberg im Sommer 2005 eröffnet.
  • Mit großer Unterstützung der Stiftung Wohlfahrtspflege hat die AWO eine Urlaubsadresse für jede Art von Pflegearrangements geschaffen.
  • Die Einrichtung ist einzigartig in NRW.
  • Sie bietet Tandem-Urlaub, d.h. Erholung für Menschen mit Demenz und ihren pflegenden Angehörigen
  • Kontakt: Landhaus Fernblick, Wernsdorfer Straße 44, 59955 Winterberg, Telefon: (02981)898-0, landhaus-fernblick@aw-kur.de, www.landhaus-fernblick-winterberg.de

Text von Carl Funkel

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