Die AWO hat mit Blick auf die Landtagswahl Forderungen an die politisch Verantwortlichen formuliert und hierzu ein Gespräch mit Hannelore Kraft, der Vorsitzenden der SPD Fraktion, geführt. Lesen Sie im Folgenden wesentliche Auszüge aus diesem Interview.
Sie wollen am 9. Mai die erste Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen werden. Gerade das Thema Bildung spielt im Landtagswahlkampf eine zentrale Rolle. Was wollen Sie hier verändern?
Wir wollen ein gerechtes Bildungssystem, das Aufstieg durch Bildung wieder möglich macht. Wir dürfen kein Kind mehr zurücklassen! Damit Bildung nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängig ist, sorgen wir für gebührenfreie Bildung - von der Kita bis zur Uni. Mehr Durchlässigkeit im Schulsystem erreichen wir durch längeres gemeinsames Lernen in der Gemeinschaftsschule. Wir wollen nicht mehr, dass Kinder bereits mit neun Jahren in Schubladen gesteckt werden. Derzeit kommt auf neun Absteiger im Bildungssystem nur ein Aufsteiger. Das wollen wir ändern. Wir brauchen mehr und bessere Schulabschlüsse.
Was tun Sie für die Betreuung unserer Kleinsten?
Gute Bildung beginnt früh. Wir werden die Städte und Gemeinden beim bedarfsgerechten Ausbau der Betreuung von unter Dreijährigen unterstützen. Wir werden hochwertige Angebote schaffen, in denen jedes Kind individuell gefördert wird. In den Kindertageseinrichtungen sollen auch Erziehungsberatung mit Angeboten zur Familienhilfe und Gesundheitsvorsorge verbunden werden. Und wir wollen, dass der Besuch der Kindertagesstätte schrittweise für alle Kinder gebührenfrei wird. Ich bin überzeugt: Wenn wir mehr in Betreuung und Bildung investieren, nutzt dies Kindern und Eltern wesentlich mehr als ein Betreuungsgeld.
Derzeit wird in der Politik heftig über das Gesundheitssystem diskutiert. Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler möchte die Kopfpauschale einführen. Was halten Sie von diesem Plan?
Wir wollen unser solidarisches Gesundheitssystem, in dem die Kosten für Gesundheit gerecht auf alle Schultern verteilt werden. Deshalb sagen wir nein zur Kopfpauschale. Sie ist ungerecht, weil sie unabhängig vom Einkommen erhoben wird. Und die Kopfpauschale führt dazu, dass gute medizinische Leistungen nur noch über private Zusatzversicherungen zu bekommen sind. Vielen Menschen mit Vorerkrankungen oder chronisch Kranken wird so der Zugang zu wichtigen Leistungen verbaut. Das lassen wir nicht zu. Wenn wir die Landtagswahl am 9. Mai gewinnen, werden wir über eine Bundesratsinitiative dafür sorgen, dass die Kopfpauschale nicht umgesetzt wird.
Wie stellen Sie sich ein zukunfts- und leistungsfähiges Gesundheitssystem vor?
Unser Ziel ist eine sichere, bezahlbare und zuverlässige Gesundheitsversorgung für alle Menschen in Nordrhein-Westfalen. Niemand darf eine erforderliche Behandlung oder Pflege versagt bleiben, weil er die entstehenden Kosten nicht tragen kann. Wir stehen für ein solidarisches Gesundheitswesen. Die gesetzliche Krankenversicherung ist dafür die tragende Säule. Wir streben zunächst die Rückkehr zur paritätischen Finanzierung der Beiträge durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer an und wir wollen die gesetzliche Krankenversicherung zu einer Bürgerversicherung weiter entwickeln. Wir stellen uns konsequent auf die Seite der Patientinnen und Patienten und werden alles tun, um den Auswuchs der Zwei-Klassen-Medizin zu verhindern. Ein weiteres wichtiges Anliegen ist es, Prävention und Gesundheitsförderung zu stärken.
Wir befinden uns mitten im so genannten demografischen Wandel. Wie gehen Sie damit um, dass die Bevölkerung immer älter wird?
Der demografische Wandel birgt für die Zukunftsperspektiven Nordrhein-Westfalens Risiken und Chancen. Grundsätzlich gilt: Nicht das Altern und der Rückgang der Bevölkerung sind die Probleme. Es kommt darauf an, die ökonomischen, sozialen und politischen Voraussetzungen zu schaffen, um diese Umbrüche erfolgreich zu gestalten. Wir werden den demografischen Wandel sozial gerecht gestalten. Dabei ist für uns zentral, dass die Menschenwürde in jeder Lebensphase gewahrt wird und es keine Diskriminierung wegen des Alters gibt. Seniorinnen und Senioren müssen möglichst lange selbstbestimmt am gesellschaftlichen Leben teilhaben können. Dafür ist soziale Sicherheit im Alter die Basis.
Mehr ältere Menschen in einer Gesellschaft bedeuten aber auch, dass es mehr Betreuung und Pflege geben muss ...
Das ist richtig. Bei vielen Älteren ergibt sich nach einem langen und gesunden Leben möglicherweise eine letzte Lebensphase, in der Versorgung und Betreuung wichtiger werden. Sozialdemokratische Politik sorgt dafür, dass es ausreichend Kapazitäten für die Pflege gibt. Dazu gehört, den Beruf der Altenpflegerin und des Altenpflegers attraktiver zu gestalten und vor allem jene Formen der ambulanten Pflege besonders zu fördern, die ein selbstbestimmtes Leben in der eigenen Wohnung oder im familiären Umfeld möglich machen, wie es sich die große Mehrheit der Menschen wünscht. Wir stehen auch zum sozialen Wohnungsbau, damit der altersgerechte Umbau von Wohnungen auch bei Mietwohnungen gelingt.
Hannelore Kraft, Vorsitzende der SPD Fraktion